4.012 Feste Wortketten / Zitate / Anspielungen / Kollokationen / Idiome
Inhaltsverzeichnis
- 1 Aus dem Inhalt
- 2 Praxis - Bitte Ihren Eintrag!
- 2.1 0. Nachträge zur Theorie
- 2.1.1 0.1 Nichts, Pause, Zwischenraum, Stille, Blank usw.
- 2.1.2 0.2 Demenz - Verbindung zur Neurologie
- 2.1.3 0.3 Aufgreifen auf späteren Ebenen
- 2.1.4 0.4 Plagiat / Typen
- 2.1.5 0.5 Gleiche längere Wortketten in verschiedenen Texten
- 2.1.6 0.6 Computer: Wahrscheinlichkeiten bei Wortketten
- 2.1.7 0.7 Handke: stereotype Nähe von 2 Bedeutungen
- 2.1.8 0.8 Ungenaues Zitieren hat Folgen
- 2.2 1. Online - Recherche
- 2.3 2. Deutsch
- 2.3.1 2.1 Trauerfloskeln
- 2.3.2 2.1.1 Textbotschaft nur aus Bibelzitaten: DEUTSCHES REQUIEM von Brahms
- 2.3.3 2.2 Umstellung (Permutation)
- 2.3.4 2.3 Einzelfunde/Verstoß gegen Sprachkonventionen
- 2.3.5 2.4 Fußballreportage
- 2.3.6 2.5 Rede der Bundeskanzlerin zum Selbermachen
- 2.3.7 2.5.1 Phraseologie bei den Parteien im Wahlkampf 2017
- 2.3.8 2.6 Kriegsrhetorik - Klischees
- 2.3.9 2.7 Kabarett
- 2.4 2.8 Floskelreiche Sprache
- 2.5 2.9 Gezielte Bezüge via Wortkette
- 2.6 3. Einzelsprache: Latein
- 2.7 4. Einzelsprache: Russisch
- 2.8 5. Einzelsprache: Bayerisch
- 2.9 6. Einzelsprache: Hebräisch
- 2.10 7. Vorausblick in die Pragmatik hinein
- 2.10.1 7.1 L. Tolstoj, "Anna Karenina"
- 2.10.2 7.2 Allzu virtuoses Zitieren
- 2.10.3 7.3 Wirkung von Wiederholungen auf Kinder
- 2.10.4 7.4 Klischees zum Thema "Tod"
- 2.10.5 7.5 Krimis: Festnahme des Verbrechers
- 2.10.6 7.6 Nachsprechen von Formeln = gedankenloses Nachplappern?
- 2.10.7 7.61 "Es ist vollbracht"
- 2.10.8 7.7 Politik auf der Basis von Meinungsforschung
- 2.10.9 7.8 "Tatort" - basierend auf Querverweisen
- 2.10.10 7.81 Nachplappern - bei US-Präsidentschaftsbewerbung
- 2.10.11 7.82 Trump - "Unanständigkeitserklärung"
- 2.1 0. Nachträge zur Theorie
Aus dem Inhalt
Mit solchem Spiel: Aufbau von Erwartungen – abruptes Abweichen funktionieren Komik, Witze, Kabarett, geistreiche Rede usw. Auch da denkt man üblicherweise meist sofort an die Bedeutungen. Das sollte ergänzt werden: Feste, wohlbekannte Wortketten – gleichgültig, was sie bedeuten – haben einen stabilen Wiedererkennungswert, der bei geistreicher Rede gezielt eingesetzt werden kann.
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Praxis - Bitte Ihren Eintrag!
0. Nachträge zur Theorie
0.1 Nichts, Pause, Zwischenraum, Stille, Blank usw.
Wer von Wortkette spricht, denkt an die Kettenglieder, die expliziten Worte. Dass diese voneinander getrennt sind, weiß man, aber dazwischen steht ja nichts, also gibt es nichts zu beobachten. Meint man. Aber dieses vermeintliche Nichts ist auch Etwas. Für den Rechner muss so ein Leerraum codiert werden wie ein Schriftzeichen. Bloß mit 'Nichts' kann der Rechner nicht arbeiten. - Auch in normaler Kommunikation: Nicht bei jeder Wortkette, aber doch immer wieder wird bewusst, dass so ein Nichts sehr bedeutungsvoll und interpretationsfähig ist.
In SWR2 wurden die Variationen über ein Thema von Beethoven von Max Reger übertragen. Ein gewal- tiges Werk mit - wie es sich für Spätromantik gehört - großer Zuspitzung am Schluss. Das muss man als Hörer erst einmal verdauen, wirken und ausklingen lassen. Nicht so die Moderatorin. Sofort nach dem letzten Ton fing sie an zu quasseln und zu einem völ- lig anderen Werk (von Mozart) überzuleiten. - Die fehlende Pause, das fehlende Nichts weckte starke Ag- gressionen. Zur expliziten Botschaft (Noten, Worte) gehört immer auch das Schweigen. In der Musik weiß man das schon immer. In Rundfunkan- stalten anscheinend nicht.
Sinn dieses Beitrags: Hinweisen auf die Verbindungselemente, die einzelne Worte erst zu einer Kette werden lassen, nenne man sie Wortzwischenraum, Space, blank usw. Diese Elemente sind wichtig, sind nicht Nichts. (Analog in anderen Medien. Was wäre eine Morse-Botschaft ohne Pausen gewesen?) --Hs 20:25, 8. Mai 2011 (UTC)
0.2 Demenz - Verbindung zur Neurologie
Von neurologischer Seite müsste der Aspekt behandelt werden, der nur als Impression wiedergegeben werden kann: Bei fortgeschrittener Demenz, wenn eine normale Kommunikation fast schon nicht mehr möglich ist, der an sich vertraute Dialogpartner nicht wiedererkannt wird, zeigt es sich, dass die Sprachfähigkeit noch lange auf einmal erlernte Wortketten zurückgreifen kann, sich daran geradezu festhält. Das können Gedichte, alte Kirchenlieder, Sprichwörter sein. Und wenn diese Wortketten inhaltlich helfend orientiert sind ("O mein Christ, lass Gott nur walten"), dann helfen diese festen, starren Sprachgebilde die sicher auch in dieser Lebensphase vorhandenen Ängste und Unsicherheiten zu bewältigen.
0.3 Aufgreifen auf späteren Ebenen
In der (Ausdrucks-)SYNTAX wird der Befund festgestellt: Ja, die fraglichen Wortketten stimmen in zwei Texten überein (Frage, wer von wem die Kette übernommen hat). Oder: Die Kette ist noch sehr häufig nachweisbar, also liegt Standardsprachgebrauch vor (Formel, Klischee u.ä.). - Das kann der Augenschein feststellen - wegen der Klarheit der Untersuchungsebene lässt sich das auch maschinell erheben. Es bietet sich auch an, solche Querverweise eines Textes zu anderen statistisch transparenter zu machen.
Damit hat man den Befund auf Ausdrucksebene, aber noch keine Auswertung / Interpretation bei der Frage, was ein solcher Befund im Blick auf die daran gebundenen Bedeutungen besagen könnte. Hier nur der Hinweis: die interessierenden Wortketten können/sollten nach der Befunderhebung, bei der u.U. der Formel- oder Zitatcharakter erkannt worden war, auch auf den Ebenen SEMANTIK und PRAGMATIK untersucht werden - wie andere Äusserungen auch.
Unterlässt man dies, kann es peinlich werden - wie folgendes Beispiel zeigt: [1]
0.4 Plagiat / Typen
Aus SPIEGEL-online-Beitrag zu A. Schavan (27.12.2013):
Komplettplagiat Ein Text wird unverändert und ohne Quellenangabe übernommen.
Eigenplagiat Der Autor stiehlt bei sich selbst. Er übernimmt Pas- sagen aus einer eigenen vorherigen Arbeit, ohne kennt- lich zu machen, dass er diese Absätze schon einmal veröffentlicht hat. Wie macht man es richtig? Auch hier immer die Quelle und in diesem Fall den eigenen Namen nennen.
Strukturplagiat Man formuliert zwar selbst, folgt dabei aber den Gedanken und Argumentationsketten anderer.
Übersetzungsplagiat Sätze werden aus einem fremdsprachigen Text ins Deutsche übersetzt, ohne die Quelle zu nennen.
Collagetechnik Aus verschiedenen Quellen werden Fragmente kopiert und neu zusammengesetzt. Der Text ist neu, die Bestandteile sind aber geklaut.
Verschleierung Die Sätze und Gedanken anderer werden übernommen und dabei leicht umgestellt - ohne Angabe der Quelle. Es gilt: Auch wenn der Gedanke formal anders klingt, ist er noch nicht der eigene.
Falsches Paraphrasieren Die Thesen anderer werden sinngemäß zusammengefasst. Dabei darf aber der Wortlaut nicht identisch sein. Und hier gilt ebenfalls: Auch eine Paraphrase braucht eine genaue Quellenangabe.
Bauernopfer Man weist einen kleinen Teil des fremden Gedankens mit einer Fußnote aus, schreibt aber dahinter munter weiter ab. Wie immer gilt: Jeder Gedanke, jeder Satz, der nicht von einem selbst stammt, braucht eine Quellenangabe.
Zu Folgen der Aufdeckung von Plagiaten, vgl. [2]. - Wir machen hier keine penible Liste der "Erwischten" auf, solchen, die es mit ordungsgemäßem/fairem Zitieren nicht genau nahmen, sich also "Mit fremden Federn schmückten". Die Presse liefert immer wieder Erkenntnisse dazu. Martin Luther King gehörte offenbar auch dazu, vgl. [3].
0.5 Gleiche längere Wortketten in verschiedenen Texten
Es geht nicht um das Erschleichen fremden geistigen Eigentums - vgl. Ziff. 0.4 -, sondern um sinnvolle, nicht nur akzeptable, vielmehr oft ausgesprochen raffinierte Bezugnahmen auf schon vorliegende Texte. Damit sie wirken, sollten sie möglichst entdeckt und wiedererkannt werden.
- handelt es sich um Exklusivbezüge, liegt eine offenkundig gewollte und kreative Bezugnahme auf einen Fremdtext vor, den man zur Interpretation des aktuellen Textes unbedingt mitberücksichtigen sollte;
- stellt die längere Wortkette jedoch eine Formel dar, die man aus unterschiedlichsten Texten kennt, weiß man zwar, in welchen Situationen (= pragmatischer Gesichtspunkt) sie eingesetzt zu werden pflegt. Eine gezielte Verbindung zu einem anderen Text entsteht auf diese Weise natürlich nicht.
Die alttestamentliche Josefsgeschichte in ihrer Originalform arbeitet dicht mit Bezugnahmen des ersten Typs. Je nach Interesse kann man dies im Essay in [4] nachlesen. Wer ein Exempel zunächst nur wahr- nehmen will, zugleich ein herausragendes, lese zu Gen 37,2, also zum ersten Satz der Erzählung, dass eine Exklusivverbindung zu Ex 3,1 - 'Berufung des Mose' - besteht. Entdeckt hatten dies die Bibelausleger bislang nicht - vermutlich primär deswegen, weil man diese Art Fragestellung und Beschreibungsmethode nicht im Programm, im Blick hatte. Denn bekannt genug ist der Wortlaut von Ex 3,1 Fachleuten auf Hebräisch immer schon. (Wer die Muße hat weiterzulesen, wird noch auf viele weitere vergleichbare Befunde stoßen, z.B. Bezugnah- men auf Texte vom 'Auszug aus Ägypten', oder von David oder vom Profeten Jeremia usw.)
0.6 Computer: Wahrscheinlichkeiten bei Wortketten
Vgl. SPIEGEL 34/2016 102f. - Stellt man einem Rechner umfangreiche Texte zur Verfügung, kann ein schlichtes Programm die Wahrscheinlichkeit erheben, welche Fortführung eine gegebene Anfangskette vorrangig in diesen Texten aufweist. Gibt ein neuer Nutzer die Anfangskette ein, kann der Rechner eine Liste der wahrscheinlichen Fortführungen anbieten - aus denen man mit einem einzigen Klick bestätigend auswählen kann.
Rückblickend inhaltlich bewertet wird in diesem Fall sichtbar, welche Vorurteile in Form geprägter Wortketten in der Gesellschaft kursieren. Beispiele aus Google-Suchen, Stand 17.8.2016:
Anfangskette vorrangige FORTFÜHRUNGEN Frauen müssen kurven haben unterdrückt werden gehorchen schön sein Behinderte sind wertlos eklig auch nur Menschen keine Menschen Muslime sind dumm intolerant abschaum gefährlich
0.7 Handke: stereotype Nähe von 2 Bedeutungen
vgl. P. Handke, Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke. Frankfurt 1979. Hier 30. Aufl. 2012.
(82) "Ich habe die Gegenstände tot genannt. Ich habe die Mannigfaltigkeit bunt genannt. Ich habe die Traurigkeit dunkel genannt. Ich habe den Wahnsinn hell genannt. Ich habe die Leidenschaft heiß genannt. Ich habe den Zorn rot genannt. Ich habe die letzten Dinge unsagbar genannt. Ich habe das Milieu echt genannt. Ich habe die Natur frei genannt. Ich habe den Schrecken panisch genannt. Ich habe das Lachen befreiend genannt. Ich habe die Freiheit unabdingbar genannt. Ich habe die Treue sprichwörtlich genannt. Ich habe den Nebel milchig genannt. Ich habe die Oberfläche glatt genannt. Ich habe die Strenge alttestamentarisch genannt. Ich habe den Sünder arm genannt. Ich habe die Würde angeboren genannt. Ich habe die Bombe bedrohlich genannt. Ich habe die Lehre heilsam genannt. Ich habe die Finsternis undurchdringlich genannt. Ich habe die Moral verlogen genannt. Ich habe die Bombe bedrohlich genannt. Ich habe die Lehre heilsam genannt (...)"
Indem die einen Sprachklischees aufgedeckt werden, wird ein anderes eingeführt ("Ich habe ... genannt"). Heißt es, dass es Illusion wäre, eine vollkommen kreative Sprachverwendung zu suchen?
Auch sonst wird häufig gegen mehr oder weniger stereotype Wort- und damit Bedeutungsverbindungen angegangen. Vgl.
Vgl. den Abschnitt "Klischee" in: [5]
0.8 Ungenaues Zitieren hat Folgen
... nämlich später in der PRAGMATIK bei den wachgerufenen geistig-soziologischen Rahmenbedingungen. Vgl. [6]
1. Online - Recherche
1.1 CoMOn - Suche nach Wortketten
Unter [7] wird das online und kostenfrei /anmeldungsfrei benutzbare Recherche-Instrument CoMOn zur Verfügung gestellt. Die Zielgruppe ist zwar die Wissenschaft, nicht die Schule. Dennoch kann, wer will, damit spielen und Erfahrungen sammeln. Es handelt sich um die automatisierte Suche nach festen Wortverbindungen in Textkorpora.
Technische Hinweise: Im Zeitalter vermehrt not- wendiger Absicherungen im Internet gegen Missbrauch sind auch im aktuellen Fall Sicherungsmaßnahmen notwendig. Das CoMOn-Programm ist vollkommen ver- trauenswürdig, aber es ist nicht über eine inter- nationale Agentur als solches zertifiziert. Daher: - Das JAVA-Programm auf Ihrem Rechner sollte aktuell sein (32-Bit-Version) - Darin gibt es ein Control Panel. Vgl. auch [8] - In diesem sollte man unter "Sicherheit/Security" die Webadresse unseres Programms eintragen. Also: [9] (ausprobieren, u.U. nur einschließlich dem ersten slash) Damit wird bekundet, dass dieses Programm ausgeführt werden darf. Folglich "Erlauben" an- klicken. - Dennoch wird beim Programmaufruf gefragt werden, ob dieses Programm ausgeführt werden soll. Das können Sie durch Klicken auf "Run" oder "Ausführen" beantworten.
Zur Verfügung stehen folgende Korpora: Altes Testament (hebräisch, griechisch), Neues Testament (griechisch), AT + NT kombiniert (griechisch), Koran (arabisch, deutsch), die "Blechtrommel" von G. Grass, Mark Twain ("Tom Sawyer", "Huckleberry Finn" / englisch), ein Korpus deutscher Zeitungssätze (NEGRA), M. Proust, "A la recherche du temps perdu"; L. N. Tolstoi, "Anna Karenina" (russisch). - Soweit verfügbar bzw. zur Verfügung gestellt, können weitere Korpora eingebaut werden.
Voraussetzungen - keine: Damit ist gemeint, dass es für die aktuelle methodische Ebene (Ausdrucks-Syntax) nicht erforderlich ist, inhaltlich eine Wortkette zu verstehen. Um das Bedeutungsverstehen geht es gerade nicht. Das kann praktisch heißen: Jemand ist an einem Psalm des Alten Testaments interessiert, versteht aber kein Hebräisch. Er kann via Buch/Kapitel/Versangaben dennoch diesen Psalm als Suchtext im Rahmen des Korpus "Altes Testament/hebräisch" definieren, die Suche starten. Anhand der Ergebnisliste wird man auf weitere Bibelstellen verwiesen, zu denen der eine Psalm Verbindungen aufweist. - Man kann damit sicher sein, dass diese Treffer, die man dann in seiner deutschen Version nachschlagen kann, ursprünglich schon für die hebräische Version gelten. Auch dann, wenn die deutsche Übersetzung der beteiligten Stellen möglicherweise keine Übereinstimmung aufweist. - Die konsequente Trennung von Ausdruck und Bedeutung macht ein solches Verfahren erst möglich.
Das Prinzip: aus dem gewünschten Korpus wählt man einen Teilbereich als Suchtext (der einen bes. interessiert) aus. Das Programm sucht im ganzen restlichen Korpus, wo gleiche Wortketten (voreingestellt: Mindestlänge 3, kann verändert werden) sonst noch vorkommen. Bei manchen biblischen Texten wird man von gefundenen Treffern überflutet (Floskeln, Zitate); auf der anderen Seite zeigt der Grass-Roman, dass auffallend wenige weitere Vorkommen nachweisbar sind - was kreativen, d.h. in hohem Maß unvorhersehbaren Sprachgebrauch anzeigt: wohlgemerkt gilt diese Aussage noch nicht für inhaltliche Akzente und Konstruktionen, sondern für die mehr unbewusst und intuitiv einfließende Ebene der Wortformen-Verwendung und -Verkettung. Aber man darf annehmen, dass Poeten auch schon für diese Ebene viel an Arbeit investieren.
Zusatzbemerkung: Es ist klar, dass man bei dieser Art Arbeit einigermaßen geistig flexibel sein muss. Ein Umschalten zwischen verschiedenen Schreibweisen und Sprachen muss funktionieren. Beispiel: Angenommen mich interessiert
- in Deutsch wiedergegeben: "so spricht/hat ge- sprochen Jahwe" - aus der Hebräischen Bibel - dort sind es 3 Wörter: כה אמר יהוה - diese mussten auch erst geschrieben werden: das oben aufklappbare "Alphabet" - in diesem Fall für "Hebrew" - erfordert Training (nicht nur wegen der anderen Schrift, sondern auch wegen der Schreibrichtung - zusätzlich muss gelernt werden, wie die hebräischen Buchstaben für den Computer verstehbar in lateinischen Lettern wiedergegeben werden. Dazu gibt es verschiedene Konventionen. Wie CoMOn die Dreierkette abbildet und verarbeitet, zeigt diese Abbildung: [10]
1.2 Automatische Wortergänzung
Schon viele Programme ergänzen ein Wort, sobald man Anfangsbuchstaben eingegeben hat. Es ist auch leicht: hat man ras- eingegeben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass letztlich rasen gemeint ist. Das ist ein rein wortstatistisches Problem, benötigt kein Bedeutungswissen. Folglich kann das Programm gleich nach den ersten Buchstaben als Vorschlag das komplette Wort einblenden. Bei möglichen Varianten muss der Benutzer nur die passende anklicken, braucht das gesamte Wort nicht mehr zu Ende tippen.
Dieses Suchprinzip wird ja inzwischen auch von den Fahrkartenautomaten der Bahn AG eingesetzt: mit jedem eingegebenen Buchstaben wird der Suchraum gewaltig eingeschränkt. Sobald "TÜ" eingegeben ist, und ich will nach Tübingen, ist die Liste der in Frage kommenden Ziele sehr überschaubar, so dass dann schon das angebotene Vollwort ausgewählt werden kann.
Im Prinzip das gleiche Verfahren verfolgt Google-Instant, wenn nicht nur ein einzelnes Wort vervollständigt wird, sondern idiomatisch erwartbare weitere Wörter hinzugenommen werden. Dann wird nach dem Eingeben von ras- auch schon angegeben: Rasen mähen, Rasen säen, usw. Das Wissen um Feste Wortketten wird genutzt, um zunächst die Suchanfrage abzukürzen, damit die gesamte Suche zu beschleunigen und - nicht unwichtig - die Wahrscheinlichkeit von Tippfehlern und daraus folgende Komplikationen zu reduzieren (der Automat könnte den Preis nicht berechnen, weil das falsch geschriebene Ziel nicht in seiner Liste vorgesehen ist).
Nun ja, im Herbst 2012 hat man im Zusammenhang mit dem Ehepaar Wulff gelernt, dass dieses Verfahren auch missbraucht werden kann: Es braucht nur eine Clique vereinbaren, dass jeder oft eine - diffamierende - Wortkette als Suchauftrag eingibt, schon merkt sich das System dies und spuckt es als Vorschlag wieder aus, wenn jemand anderes nur mal den Namen eingibt. Treffer gibt es dann zwar keine, aber andere bekommen via Suggestion signalisiert, es sei was dran ...
1.3 Recherche durch Blättern / ÜBUNG
Das Heil hängt nicht an der Elektronik. Den aktuellen Gesichtspunkt - Wortketten, die auch in anderen Texten Standard sind - hat man seit alter Zeit durch Wortlisten und Blättern ausfindig gemacht. Wer dies am Alten Testament durchführen will, bekommt hier ein Arbeitsblatt, in dem der Text Jeremia 2 + Liste beisammen sind: Vgl. [11]
Die gleiche Prozedur am 2. Schöpfungsbericht: Vgl. [12]
1.4 Gleiches Vorgehen wie bei der Phonetik
Wie in dem Artikel, der in 4.01 Ausdrucksseite: Schrift – Aussprache/2 unter Ziff. 0.10 zitiert wird, für die Lautebene, die Phonetik, erläutert wird, dass unter Absehung von der Bedeutungsebene eine sehr hohe Trefferquote bei der Autoridentifizierung zu erzielen ist, so gilt das gleiche Prinzip jetzt für die Schriftebene. Auch da wird unterstellt, dass jeder Schreiber/Autor seinen eigenen 'Fingerabdruck' hat in der Art, wie er Wortformen verkettet.
Um dies mit Solidität und Zuverlässigkeit durchzuführen, braucht man flächendeckende (und nicht inhaltlich und somit willkürlich vorsortierte) Daten: Im Normalfall den gesamten in Frage stehenden Text. So arbeitet ja auch CoMOn.
Eine der Fragen, die dann beantwortet werden können, ist die der Datierung: Ein Text aus einer Sammlung - ist er sehr alt oder jung? Wer sich durch die auf die Wissenschaft ausgerichtete Diktion und Datenfülle nicht abschrecken lässt, schaue nach unter Ziff. 2.5 in [13]. Die meisten Einzeldaten darf man getrost wieder vergessen - sobald die Art der Fragestellung verstanden ist. Wichtig ist:
- die Analyse nur der Verkettung der Wortformen,
- das sich aufdrängende Endergebnis: es handelt sich bei der ursprünglichen Josefsgeschichte im Rahmen der hebräischen Bibel um einen relativ jungen Text.
2. Deutsch
2.1 Trauerfloskeln
Kabarett/Satire nutzen gern die bei feierlichen Anlässen üblichen Floskeln, modifizieren sie äusserlich nur leicht. Auf der Ebene der Bedeutungen ist die Provokation jedoch heftig. Der Grund liegt im standardisierten, was oft auch heißt: hilflosen, unpersönlichen und gedankenlosen Gebrauch fester Wortketten. Wer Satire nicht verträgt, lese besser nicht weiter. Das Beispiel ist entnommen titanic Juni/2010 und schlägt dem Verteidigungsminister eine "Trauerrede für jeden Anlaß" vor. Nachfolgend wird ein Absatz grafisch verändert zitiert: in der linken Spalte stehen die Floskeln, in der rechten werden Varianten angeboten, die man je nach Anlass einsetzen kann.
So fragen Sie, liebe Angehörigen, sich vielleicht: Hatte das Sterben der [Zahl einfügen] jungen Männer, die fern von der Heimat ihre Heimat verteidigten Pflicht erfüllten Dienstzeit abrissen, irgendeinen höheren tieferen strategischen Sinn? Hätten wir die Kameraden gründlicher ausbilden besser ausrüsten lieber etwas Ordentliches lernen lassen sollen? Wir sollten uns die Antwort auf diese Fragen nicht zu leicht machen nicht zu schwer machen besser verkneifen. Denn es ist Ihnen womöglich kein Trost, wenn ich sage: Ein Krieg bewaffneter interna- tionaler Konflikt organisiertes Massaker, oder was Sie umgangssprachlich gerade dafür halten, ist kein Selbstzweck Job wie jeder andere Kindergeburtstag, sondern Prüfstein der Demokratie die Hölle als Jungbrunnen eine verteufelt gefährliche Sache. Trösten mag Sie hier und heute jedoch folgendes: Sie sind mit Ihrer Trauer nicht allein - wir alle sind bei Ihnen weitere werden folgen beim Feind wird das Geheule noch viel größer.
Offenkundig sind bei den Varianten rechts immer wieder akzeptable, d.h. in solchen Fällen ebenfalls stereotype Vorschläge enthalten, immer aber auch solche, die vollkommen aus dem Rahmen fallen und dann Wertungen wie: pietätlos, entlarvend usw. wachrufen.
2.1.1 Textbotschaft nur aus Bibelzitaten: DEUTSCHES REQUIEM von Brahms
- Textgestaltung durch den Komponisten. Vgl. [14] Vgl. [15]
2.2 Umstellung (Permutation)
Wird eine wohlbekannte Wortkette (=Formel, Zitat, Idiom) wiederverwendet, aber deren Bestandteile umgestellt (=Permutation), folgt daraus ein starker stilistischer Reiz. da Hörer zwar die Bestandteile der Wortkette sofort wiedererkennen, zugleich aber deren ungewohnte Reihenfolge registrieren. Das kann zu starken Irritationen führen.
Beim Geburtstagsständchen: "Zum Geburtstag viel Glück" kann man das erste und dritte Wort vertau- schen: "Viel Geburtstag zum Glück". Das Ganze kra- kelig wie von Kinderhand geschrieben weckt Rüh- rung und Nachsicht und lässt zudem einen neuen, durchaus schönen Sinn erahnen. (Fund auf einer Spruchkarte)
Bei der üblichen Redeeröffnung ("Meine sehr verehrten Damen und Herren") sind bei den ersten 3 Wörtern allerlei Variationen möglich. Nicht jedoch bei den letzten drei. Würde es ein Redner wagen von Herren und Damen zu sprechen, hätte er gegen strenge Höflichkeitsregeln verstoßen. Entsprechend könnte er auf seinen thematischen Beitrag verzichten, weil sowieso niemand mehr zuhören würde angesichts der Ungeheuerlichkeit in der Redeeröffnung. - Man sollte sich an vielen weiteren Beispielen vor Augen halten, welche Emotionen mit festgefügten Wortketten verbunden sein können.
Showmaster Thomas Gottschalk in einer "Wetten dass ...?" -Sendung zur Begrüßung einer Wettkandidatin namens Maria: Maria, gegrüßet seist du! - Wer die Herkunft der Kette der letzten drei Wörter nicht kennt, wird sich allenfalls über die altertüm- liche Sprachform wundern und nichts weiter bemerken. Andere erkennen, dass damit die deutsche Form des Ave Maria zitiert wird, wo der Name nachgestellt ist: "Gegrüßet seist du, Maria". - Respektlose Frech- heit ist der stilistische Effekt - für die, die darüber lachen können.
Laut Hohl-SPIEGEL bzw. GEA sagte ein SPD-Genosse an die Adresse des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel:
Ich habe Schwierigkeiten mich Dir als Kanzlerkandidat vorzustellen.
Die enthaltenen Wortformen sind ebenso in Ordnung wie auch ihre Verkettung. Kein Fehler. Erst beim Nachdenken über die Bedeutungen dämmert die Vermutung, dass gesagt werden sollte: "Dich mir". Die inhaltliche Wirkung ist beträchtlich, weil die Betrachterperspektive umgedreht wird.
2.3 Einzelfunde/Verstoß gegen Sprachkonventionen
Aus G. Grass, "Hundejahre" (Ausgabe von 1980):
"Aus dem Holländischen soll sich der Vogel herleiten, weil ihm frühen Mittelalter holländische Siedler die Weichselniederung entwässerten..."
Schon rein statistisch rechnet man beim Wort / Mittelalter / im Vorfeld mit / im /. Ob zwischen beiden noch ein weiteres Wort steht - wie hier: / frühen / - oder nicht. Man muss also nicht erst inhaltlich argumentieren um nachzuweisen, dass ihm an dieser Stelle ein Druckfehler ist.
2.4 Fußballreportage
Ein Reporter fällt angenehm auf, wenn er abgedroschene Phrasen weitgehend vermeidet. - Interview mit Hans-Christoph Fuss - zu seinem Verständnis seines Berufs (19.5.2012):
SPIEGEL ONLINE: Unstrittig ist, dass Sie selten Geld ins Phrasenschwein werfen müssen. Wie vermeiden Sie die typischen Fußballplattitüden?
Fuss: Ich schule manchmal junge Reporter und wundere mich, dass einige meinen, auch heute noch müsse "der Schalter umgelegt" oder "der Bock umgestoßen" werden, oder beim Eckstoß "gehen die langen Kerls mit nach vorne", damit es "im Strafraum lichterloh brennt". Meine Güte, da liegt ja schon meterdick Staub drauf! Das Wichtigste für einen Sportreporter ist, sich artikulieren zu können, die Dinge auch einmal anders zu beschreiben als sonst. Idealerweise auch spontan. Und dazu muss man sich, finde ich, literarisch "ein bisschen breiter aufstellen".
2.41 Phrasenschwein
Es gibt TV-Reporterstammtische, wo der, der mit Phrasen - wie in 2.4 schon angedeutet - argumentiert, immer dann, wenn das Publikum eine bemerkt hat und reagiert, 5 Euro ins Phrasenschwein werfen muss. Für den, der auf seine Sprache nicht aufpasst, kann das ganz schön teuer werden. - Ein fußballbezogener Phrasomat wird hier angeboten: [16]
2.42 Managerfloskeln
... oft in Denglisch, um den Gesprächspartner zu beeindrucken, vgl. [17]
2.5 Rede der Bundeskanzlerin zum Selbermachen
Ein Phrasomat wird angeboten, damit jede/r im Stil von BK Merkel eine politisch garantiert korrekte Rede zusammenstellen kann: [18]
2.5.1 Phraseologie bei den Parteien im Wahlkampf 2017
Vgl. [19] - Das ist praktizierte "Ausdrucks-SYNTAX" und zeigt schön die Erkenntnismöglichkeiten, aber auch die Grenzen. N.B. In vergleichbarem Stil hatten wir den Wortschatz der "Ursprünglichen Josefsgeschichte" analysiert.
2.6 Kriegsrhetorik - Klischees
Aus dem Vorwort von Ernst Jünger, In Stahlgewittern:
Das war der deutsche Infanterist im Kriege. Gleich- viel wofür er kämpfte, sein Kampf war übermenschlich. Die Söhne waren über ihr Volk hinausgewachsen. Mit bitterem Lächeln lasen sie das triviale Zeitungsge- wäsch, die ausgelaugten Worte von Helden und Heldentod.
2.7 Kabarett
Kabarettist Gerhard Polt nennt 2015 sein Programm: "Ekzem homo".
Durch die zwei Worte wird einiges ausgelöst: - Erinnerung daran, dass es im Lateinischen ähnlich klingende gibt: Ecce homo = "siehe (welch) ein Mensch" Verwen- dung in der lateinischen Bibelübersetzung Vulgata - Kontext dort: Folterung und baldige Kreuzigung Christi, Zwischenetappe auf dem Weg zur letztendlichen Hinrichtung - "Ekzem" kennt man als medizinischen Begriff für einen lästigen bis ekelhaften, auf jeden Fall behand- lungsbedürftigen Ausschlag.
"Mensch" wird vom Kabarettisten via Anspielung, ausgelöst durch weitgehenden Gleichklang, vielfältig, mit weitem Hintergrund aufgeladen durch negative Wertungen. - Mit derartigem Sarkasmus aufgeladen kann der Theaterabend ja lustig werden ...
2.8 Floskelreiche Sprache
2.8.1 Satirisch aufgespießt
"Wer 'Jemanden zum Teufel wünscht', der sagt auch 'Mein lieber Herr Gesangverein' und 'Da brat mir aber einer einen Storch'" Leppin, Kultur-Spiegel März 2015
2.8.2 Zaubersprüche, Beschwörungen, Verfluchungen, Magie u.ä.
nach: A. Önnerfors, Antike Zaubersprüche. Reclam 8686. Stuttgart 1991.
Derartige Sprechweisen haben unterschiedliche Voraussetzungen und Interessen:
- Mit Sprache soll ein nicht-sprachlicher Effekt erzielt werden (z.B. Heilung). Es soll also das bewirkt werden, was sprachtheoretisch gar nicht geht: eine direkte, wirksame und feste Verbindung zwischen Sprache und äußerer Wirklichkeit herzustellen. (Zur Erinnerung: das geht deshalb nicht, weil Sprache ein Eigenleben führt, auf Konvention beruht, Bedeutungen immer mit Alternativen ausgesprochen werden können).
- Um diese Wirkung - dennoch - zu erzwingen, sollen die nötigen Aussprüche fest und wohlbekannt sein, eben formelhaft.
- Bisweilen werden Begleithandlungen für nötig / sinnvoll angesehen - diese 'sprechen' auf ihre Weise.
Nachfolgend einige Zitate aus dem antik-römischen Bereich.
Schon Plinius d. Ä. im 1. Jhd n.Chr. war sich des prekären Verhältnisses von 'Sprache und Wirklich- keit bewusst. Er schrieb: "Das erste von allen dem Menschen entnommenen Heil- mitteln unterliegt der großen und schwer zu entschei- denden Frage, ob Besprechungen und Beschwörungs- formeln Kraft besitzen. Wenn es wirklich so wäre, dann müßte dieses Mittel dem Menschen willkommen werden; allein die weisesten haben ihm ohne Ausnahme den Glauben abgesprochen, obwohl die Menschen im allgemeinen zu jeder Stunde daran glauben, auch ohne irgendwelchen Einfluß zu spüren." (9)
Exorzismus, Austreibung von Krankheiten
" 'Audi dolor renium, exi a medullis ad ossa, ab ossibus ad pulpa, ad nervos, a nervis ad cutem, a cute ad pilos, a pilis ad centesimum!' Excutiens incantas, expues aut ter aut quinquies aut septies, aut novies () "Hör zu, Nierenschmerz, verschwinde vom Mark in die Knochen, von den Knochen ins Muskelfleisch, vom Muskelfleisch in die Muskeln, von den Muskeln in die Haut, von der Haut in die Härchen, und scher dich von den Härchen hundert Meilen weg von hier! Während du diese Beschwörung sprichst, schüttelst du den Patienten und spuckst drei, fünf, sieben oder neun Male aus." (15f)
Drohung gegen die Krankheit
"Coli doloris praecantatio. Corydali cor circa ventrem alligato lino aut licio et sanguine eius ventrem hominis perungue et dic: 'Fuge, coli dolor. corydalus te fugat!' Ipsum autem et manducet. () "Beschwörung gegen Grimmdarmschmerz. Binde das Herz einer Haubenlerche mit einer Schnur oder einem kleinen Gurt um den Bauch des Patienten, reibe seinen Bauch mit deren Blut ein und sag: 'Flieg, Grimmdarmschmerz, die Haubenlerche sucht, dich zu vertreiben!' Die Lerche selbst soll er [der Patient] auch essen." (17)
Liebeszauber
"... ut non (possit) me contemnere sed faciat quodcumque desiderio Vettia, quam peperit Optata, vobis enim adiuvantibus ut amoris mei causa non dormiat, non cibum, non escam accipere possit. [Zauberwörter und magische Zeichen.] (Perdat Vettia), quam peperit Optata, sensum, sapientiam et intellectum et voluntatem , ut amet me, Felicem, quem peperit Fructa, ex hac die., ex hac hora, ut obliviscatur patris et matris et propin- quorum suorum et amicorum omnium et aliorum virorum amoris mei autem Felicis, quem peperit Fructa; Vettia, quam peperit Optata, solum me in mente habeat ... ...so daß Vettia, Tochter der Optata, mich nicht verachten kann, sondern daß sie alles tut, was ich ersehne, und mit eurem Beistand vor Liebe zu mir nicht schlafen und keinen Bissen essen kann. Möge Vettia, Tochter der Optata, Gefühl, Klugheit, Verstand und Willen verlieren, so daß sie von diesem Tag, von dieser Stunde an mich, Felix, Sohn der Fructa, liebt, so daß sie aus Liebe zu mir Felix, Sohn der Fructa, ihren Vater, ihre Mutter, ihre Verwandten und alle ihre Freunde und andere Männer vergißt; möge Vettia, Tochter der Optata, nur mich im Kopf haben ... (42f)
Heilaberglaube (gegen Schmerzen in der Harnblase)
Scribes in vesica procina, masculo, feminae de femina, et aumbilicum suspendes - et eius nomen scribes, cui facies -: ABARA BARBARICA BORBON CABRADU BRABARASABA. Nimm die Harnblase eines Schweines, für den männ- lichen Patienten eine von einem Eber, für den weiblichen eine von einer Sau, schreibe auf sie: ABARA BARBARICA BORBON CABRADU BRABARASABA. und ebenso den Namen des Patienten, und hänge die Blase an den Nabel. (58f)
2.8.3 im Roman
... aus Martin Walser, Tod eines Kritikers. Frankfurt/M 2002. vgl. [20], darin S. 113. 144
2.9 Gezielte Bezüge via Wortkette
2.91 W. Brandt - Mauerfall 1989
aus: E. Bahr, "Das musst du erzählen". Erinnerungen an Willy Brandt. Berlin 2014.
"Am Tag nach dem Mauerfall, dem 10. November 1989, flogen Willy und ich zu der großen Kundgebung vor 'unserem' Schöneberger Rathaus nach Berlin. Er pin- selte auf eine seiner Rednerkarten Stichworte, darunter: 'Jetzt wächst zusammen, was zusammenge- hört'. Mehr als zwanzig Jahre später las ich in einem Artikel des schleswig-holsteinischen SPD- Politikers Gert Börnsen, dass Brandt 1961, kurz nach dem Mauerbau, vor dem Berliner Abgeordneten- haus davon gesprochen habe, 'dass zusammenwachsen werde, was zusammengehört'. Das ist ein Beispiel für die von mir immer wieder beobachtete Fähigkeit Brandts, Erinnerungen, die er in seinem Gedächtnis gespeichert hatte, abrufen zu können, wenn er sie brauchte." (222)
3. Einzelsprache: Latein
3.1 Prä- / Postpositionen
Präpositionen oder Postpositionen sind als wahrnehmbares Phänomen und als Begriff - gleichgültig in welcher Einzelsprache - ein hervorragendes Beispiel dafür, dass gelegentlich auch die traditionelle Grammatik schon - in unserer Diktion - rein ausdruckssyntaktische Abschnitte enthält, frei von Bedeutungskomponenten.
Dass Prä-/Postpositionsverbindungen immer auch einer Bedeutungsfunktion dienen, darf/muss unterstellt werden - sonst könnte man auf sie glattweg verzichten. Aber zunächst sollen und können sie als Phänomen auf Ausdrucksseite wahrgenommen, erfasst und beschrieben werden. Die Frage der Bedeutungsfunktionen kommt ab der Semantik.
Die Darlegungen der "Systemgrammatik Latein" von Fink/Maier (1997) S.134f kann man ganz gut in die aktuelle Beschreibung nur der Ausdrucksseite einbeziehen. Folgende Merkmale gelten:
Präpositionen sind als Wortform unveränderlich. - Das kann man feststellen, indem man den Wortschatz durchforstet. Man muss dazu noch nicht verstehen, welche inhaltliche Funktion die Präpositionen er- füllen. Folglich vermeiden wir hier auch noch, in gleichem Atemzug von Verhältniswörtern zu sprechen.
Prä- bzw. Post- zeigen an, dass es um ein Stellungsproblem geht. Es handelt sich um (unverän- derliche) Wortformen, die vor oder nach einem anderen stehen. Im Lateinischen hat man den komfortablen Befund, dass - v.a. bei Präpositionen -, das auf die Präposition folgende Wort in einen von zwei möglichen Kasus wechselt: Akkusativ oder Ablativ. In Italiam redimus In Italia vivimus - na ja, das Beispiel passt nicht ganz, weil man wohlwollend unter- stellen muß, es liege ein Ablativ vor. Und die Ausdrucks-Syntax möchte nicht mit der- artigem Wohlwollen, das eine Nicht-Erkennbarkeit überspielt, arbeiten. Nehmen wir als passen- deres Beispiel: sine dolore vivimus
Zwischen Präposition und Bezugswort kann ein weiteres Nomen treten. In begrenztem Maß lässt die Präpositionsverbindung Fernstellung zu: propter hominum multitudinem
Postpositionen sind im Lateinischen selten, kommen aber vor. (Wogegen dann bei der Beschreibung des Englischen das terminologische Paradox vermieden werden sollte: Präposition am Schluss des Satzes, also post?) mecum amicorum gratia - dann mit Kasus Genitiv te propter
Präpositionen findet man - auch das ein ausdruckssyn- taktisches Betätigungsfeld: Wortbildung - häufig bei Verb-Komposita wieder: abducere - es genügt für die Aus- druckssyntax festzustellen, dass sowohl ab als auch ducere als selbstständige Wortformen vorkommen. Und hie und da verbinden sie sich zu einer. Jede Sprache muss mög- lichst rationell den Wortschatz aufbauen. Ein Mittel dazu ist, dass man kürzere, schon vorhandene Wortformen zusammenbaut zu größeren.
Die Schlussbemerkung der "Systemgrammatik" - bevor die lange Liste der lateinischen Präpositionen genannt wird - ist methodisch überflüssig: Präpositionen würden auf Bedeutungsebene örtliche, zeitliche, übertragene Bedeutungsakzente einbringen, im Fall letzterer mit instrumentaler, kausaler, modaler Sinnrichtung. - Der Hinweis ist zu allgemein und zudem unausgegoren (ist kausal nicht modal?).
Aber man kann der Bemerkung auch etwas abgewinnen: (a) Dieses Ausdrucksmittel wird auf Bedeutungsseite ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen (Das allerdings ist sowieso der Normalfall; deswegen trennt die Alternativ-Grammatik so deutlich die Behandlung beider Aspekte: Ausdruck vs. Bedeutung). (b) Es wird thematisiert, dass es eine Bedeutungsebene gibt (gemeint wohl: die wörtliche), und dann gibt es noch eine zweite: die übertragene. Die Reihung ist ungegliedert (örtliche, zeitliche, übertragene) und unsystematisch. Man sollte methodische Konsequenzen aus der richtigen und eigentlich banalen Erkenntnis ziehen: die Alternativ-Grammatik beschreibt in der Semantik die wörtliche Bedeutung, in der Pragmatik die übertragene.
3.2 Einzelfunde/Verstoß gegen Sprachkonventionen
Das Programmheft eines Kirchenkonzertes druckte die Texte der Vokalmusik ab. Darunter:
Miserere mei, quoniam in firmus sum
Man könnte anfangen inhaltlich zu argumentieren: wer stark ist, braucht kein Erbarmen. Das ist erstens ein unnötiger Ausgriff, zweitens geht es am Sprachbefund vorbei: Ohne Rückbezug auf die Bedeutungsebene kann man feststellen:
- firm-us begegnet auch als firm-a oder firm-um und noch in weiteren Variationen
- Dass nach in ein Wort mit Endung -us folgt, ist im Lateinischen nicht vorgesehen. Üblicherweise drückt man sich so aus: es müsse entweder ein Akkusativ oder ein Ablativ folgen - was im Ergebnis auf das Gleiche hinausläuft: in + getrennt davon ein Wort mit Endung -us darf es nicht geben.
Also erlauben bereits diese beiden Beobachtungen zur Ausdrucksseite zu sagen: Es muss ein Druckfehler vorliegen. Korrekt muss es heißen: Miserere mei, quoniam infirmus sum "da ich schwach bin" - beim Schreiben war jemand wohl mehr am Starksein interessiert.
Aus dem selben Programmheft:
sed tantum die verbo,
Sieht alles gut Lateinisch aus. Nur die Zusammenstellung macht Probleme. Nach den Gepflogenheiten des Latein kann man nichts aufeinander beziehen. tantum passt nicht zu die, die nicht zu verbo, verbo nicht zu tantum. sed ist ohnehin unveränderlich. Des Rätsels Lösung: Schreib- oder Leseversehen. Es sollte heißen:
sed tantum dic verbum - "und sprich nur ein Wort"
4. Einzelsprache: Russisch
4.1 Präpositionen
Es genüge zunächst der Hinweis, dass Präpositionen - wie in anderen Sprachen auch - Wörter mit unterschiedlichen Kasus folgen lassen.
у, из, после, недалеко от, до nächstes Wort im Genitiv к, по " " " Dativ в, на " " " Akkusativ с, за " " " Instrumental в, на, о " " " Präpositiv
"Instrumental" klingt bedeutungsmäßig anscheinend präzis, ist auf dieser Ebene jedoch unbrauchbar.
"Ich gehe mit meinem Hund spazieren" bezeichnet kein "Instrument", sondern eine "Begleitung" "Ich sitze am Tisch" ist eine Lokalangabe "Hinter der Schule gibt es ..." = Lokalangabe "Abends hole ich x Dascha ab" - die unübersetzte Präposition meint den 2.Aktanten
Viel besser wäre es, auf den semantisch gepägten Terminus zu verzichten und sich stattdessen zu merken: nach den genannten Präpositionen bekommen Substantive die Endungen: ей | ой | ом (abhängig vom vorausgehenden Stamm). Das wäre (Ausdrucks-)SYNTAX. Die wird nämlich mit dem Terminus "Instrumental" nur mitgeschleppt, aber nicht behandelt. Mit dieser Beschränkung ist man dann frei, semantisch genau zu bestimmen, was damit inhaltlich ausgesagt sein soll.
Analog beim zweiten Fall: "Präpositionen mit Präpositiv". Schon die Grammatikbezeichnung lässt eher an Zungenbrecher und Tautologie denken, als an eine klärende Auskunft. Wieso nicht sich begnügen mit der ausdruckssyntaktischen Auskunft: nach den genannten Präpositionen tritt an das folgende Bezugswort ein "е" an? Diese äussere Veränderung ist mit "Präpositiv" gemeint. Auf den etwas lächerlichen Begriff kann man verzichten - er beschreibt ohnehin nicht, was sich faktisch verändert. Und was semantisch mit der Wortverbindung ausgesagt sein soll, kann im nächsten Kapitel beschrieben werden. "Präpositiv" hilft dabei sowieso nichts.
5. Einzelsprache: Bayerisch
5.1 Namensverteilung
Eine Argumentation bezüglich dieser regionalen Ausprägung des Deutschen könnte etwa so ablaufen:
/Birnbichler/ sei als Wortform gegeben. Hätte man regional differenzierte Wortlisten zur Verfügung, würde man feststellen dass dieses Wort sicher nicht exklusiv, aber bevorzugt in Bayern in Gebrauch ist. Erkennen kann man, dass das Wort aus drei, aus anderen Zusammenhängen bekannten, Elementen besteht: /Birn/ - kann im Bayrischen als separates Wort verwendet werden oder in Zu- sammensetzungen: /Birn/+en/schnaps/ /Bichl/ - gibt es allein oder auch in Zusam- mensetzungen /Kirch/bichl/ /er/ - ist wie im Hochdeutschen sowohl selbstständiges Wort, wie auch beliebtes Affix: /Müll/ -> /Müll/+er/ (bitte hier nicht inhaltlich argumentieren, wonach der 'Müller' doch nichts mit 'Müll' zu tun habe. Diese Weisheit interessiert nicht, wenn es nur um Wortbildung geht) Also speziell die Verteilung des Gesamtwortes gäbe auf der Basis entsprechender Statistiken den Hinweis: vorwiegend gebräuchlich in Bayern. Aber auch das zweite Element deutet bevorzugt auf diese Region.
/Sepp/ - sei das zweite Wort. Auch da würde die Wortverteilung besagen: Vorwiegend gebräuchlich in Bayern. Dass diese Wort- form ursprünglich von /Josef/ herkommt, ist ohne Einbeziehung sprachgeschichtlichen Wissens allenfalls zu ahnen, nicht aber sicher angebbar.
Hätte man nun auch Listen zur Kombination der beiden Wortformen, wäre das Ergebnis, dass /Sepp/+/Birnbichler/ als Kombination wohl in Bayern mehrfach bezeugt wäre, aber auch im Rest Deutschlands vorkommen könnte. Typisch bayrisch wäre aber wohl die Kombination mit Begleiter und Umstellung: /der/+/Birnbichler/+/Sepp/
Damit hätte man mehrere Indizien beieinander, die sowohl bei der Wortbildung selbst, dann auch bei der Verkettung von Wortformen darauf hinweisen: regionaler Gebrauch vorwiegend in Bayern. - Irgendeine inhaltliche Debatte wäre völlig fehl am Platz. Man muss auch nicht das inhaltliche Wissen einsetzen, wonach es sich um Eigennamen handelt.
6. Einzelsprache: Hebräisch
6.1 Isaaks Opferung
Es wurde nicht vergessen, dass die "Alternativ-Grammatik" für die Ebene der Schulen gedacht ist. Dennoch soll eine Illustration folgen, die ergiebig ist, auch wenn man kein Hebräisch beherrscht. Eigentlich erst dann. Denn es wird ernstgenommen, was wir hier dauernd propagieren: Ausdrucks-SYNTAX lässt Bedeutungswissen beiseite! Und wenn man die Sprache nicht beherrscht, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich nur mit der Kette der Ausdrücke zu beschäftigen - was immer die bedeuten mögen ...
Es geht um Gen 22,1-19 (ohne V.15-18 - auf Deutsch nachlesbar in [21]) in seiner hebräischen Fassung, analysiert mit dem Werkzeug CoMOn - siehe oben Ziff.1. Die nachfolgende Analyse kann jede/r durchführen, gerade auch, wenn man des Hebräischen nicht mächtig ist. Die Frage ist: Mit welchen anderen Texten der hebräischen Bibel ist dieser Text via Wortketten besonders nahe verwandt?
'Man' weiß schon lange, dass auch und nur noch in Ijob 1 das Thema aufgeworfen wird, dass Gott einen Menschen "prüft" - ist ja auch in Goethes Faust aufgegriffen. Also ist wegen dieser einen inhaltlichen Aussage - gleichgültig, wie sie konkret formuliert wurde - eine Verbindung gegeben. Das Ergebnis ist nicht falsch. Trifft aber nicht unsere Fragestellung. Wir wollen nicht über Bedeutungen zum Ziel kommen, sondern durch den Vergleich von Wortketten. Außerdem kann man fragen, ob es nicht noch weitere Befunde gibt, damit weitere verwandte Texte? Der Verweis auf Ijob 1, so wie dargestellt, stützt sich ja nur auf ein Indiz. Das ist etwas wenig.
Wir haben - das kann man diskutieren - folgende Strategie unter folgenden Annahmen verfolgt:
- Zunächst interessierte, wo eine Dreier- oder längere Wortkette aus Gen 22 in der restlichen hebräischen Bibel sonst noch vorkommt, und zwar exklusiv, also nur noch einmal. [Eine solche Dreierkette ins Deutsche übernommen würde mindestens 5 Wörter ausmachen, wegen der unterschiedlichen Sprachstrukturen]. Die Annahme: Solche längeren und exklusiven Ketten deuten auf eine direkte, wahrscheinlich sogar bewusste Anspielung/Übernahme. Der Autor des einen Textes muss also den anderen Text gekannt haben - es fragt sich nur, welcher Text der ältere ist ;-)
Befund: 1 Kön 2,30-46 (V.40: "und-er-sattelte seinen Esel"); 18,20-46 (V.33: "und-er-schichtete-auf das Holz"); Jjob 1,6-22 (V.12: "nicht streck-aus deine-Hand") weisen jeweils eine derartige Verbindung zu Gen 22,1-19 auf. Bei Ijob ist es also nicht einmal das "Prüfen", das die besondere Nähe der Texte anzeigt.
- In einem zweiten Schritt kann man die Bedingung lockern und fragen: Sind die drei Texte, auf die wir beim ersten Schritt gestoßen waren, bei allgemeineren Sprachgewohnheiten miteinander verbunden, und welcher davon besonders stark? - Dazu lassen wir nun schon Zweierketten zu, die natürlich auch an anderen Stellen der hebräischen Bibel vorkommen. Die 'Exklusiv-Bedingung' lassen wir fallen. Alle Ketten (Zweier- und länger) in diesen Texten werden addiert. Dadurch erhält man eine Rangordnung.
Befund: 1 Kön 2,30-46: mit Gen 22 durch 3 Ketten einer Gesamtlänge von "7" verbunden. 1 Kön 18,20-46: mit Gen 22 durch 7 Ketten einer Gesamtlänge von "15" verbunden. Ijob 1,6-22: mit Gen 22 durch 3 Ketten einer Gesamtlänge von "7" verbunden.
Kleine Verblüffung am Rande: Nicht der aufgrund seiner Bedeutung ähnliche Text Ijob 1 ist am stärksten mit Gen 22 verwandt, sondern 1 Kön 18,20-46. Ein eigenständiges Ergebnis der Ausdrucks-SYNTAX! - Wer will, kann jetzt erst auch die Bedeutungen hinzuziehen und Hinweise sammeln, wie denn wohl die sprachliche Verwandtschaft zu sehen ist. Gleicher Autor? Oder hat ein Autor den Text eines anderen zum Vorbild genommen? Oder entstanden beide Texte im selben sprachlichen Milieu? usw.
In Form von Arbeitsblättern sind die drei Befunde verfügbar. Fett gedruckt sind jeweils die Passagen, die im hebräischen Wortlaut mit Gen 22,1-18 übereinstimmen. Vgl.
Ijob 1 [22] 1 Kön 2 [23] 1 Kön 18 [24]
7. Vorausblick in die Pragmatik hinein
Mit Formeln, stehenden Redewendungen, Zitaten usw. sind natürlich immer auch Bedeutungen verbunden, und nicht nur das, sondern meist auch durch lange Traditionen, durch ehrwürdige Quellen hoch aufgeladene Bedeutungen. Diese Bedeutungsaspekte sichtbar zu machen, dazu ist die Pragmatik da, vgl. 4.11 PRAGMATIK - literarischer Kontext / Situations-Ko-Text . Aktuell geht es ja erst um das Erkennen äusserer fester Wortketten. - Aber als kleinen Ausblick auf die nächste (SEMANTIK = Wortbedeutung) und die übernächste (PRAGMATIK = gemeinte Bedeutung, Sprechsituation) methodische Ebene kann hier angedeutet werden, wie sich die jetzigen Ergebnisse kommunikativ einsetzen lassen.
7.1 L. Tolstoj, "Anna Karenina"
Formeln, Zitate verleiten - inhaltlich - zu leichtfertigem Gebrauch. Manchmal stellt sich bei genauerem Hinsehen heraus, dass die Verwendung ein Fehler war. Auch Zitate aus dem Neuen Testament können von solchem Mißbrauch betroffen sein.
aus: Lew Tolstoj, Anna Karenina. Hg.v. G. Drohla.insel 2010. S.590:
"Verzeihen kann ich nicht und will ich nicht, ich halte es für ungerecht. Ich habe für diese Frau alles getan, und sie hat alles in den Schmutz getreten, der ihr Element ist. Ich bin kein böser Mensch, und ich habe nie jemand gehaßt, aber sie hasse ich mit allen Kräften meiner Seele, und ich kann ihr nicht einmal verzeihen, denn ich hasse sie zu sehr für all das Böse, das sie mir angetan hat!" sagte er, und man hörte seiner Stimme an, daß er den Tränen des Zorn nahe war. "Liebet, die euch hassen..." flüsterte Darja Alexan- drowna schüchtern. Alexej Alexandrowitsch lachte ver- ächtlich. Das wußte er längst, aber das ließ sich auf seinen Fall nicht anwenden. "Liebet, die euch hassen! Aber die lieben, die man selbst haßt, das kann man nicht. ..."
7.2 Allzu virtuoses Zitieren
Erasmus von Rotterdam, Das Lob der Torheit. Eine Lehrrede. Übersetzt von Anton J. Gail. Reclam Nr.1907. Stuttgart 2010. [Die Torheit spricht:]
(99) Nach seinem [des Paulus] Vorbild greifen die Theologen hier und dort vier oder fünf Worte auf, ent- stellen sie je nach Bedarf und machen sie sich mund- gerecht, möglichst gerade die vorhergehenden und die folgenden, die für die Sache belanglos oder gar sinnwidrig sind. Das machen sie mit so erfolg- reicher Dreistigkeit, daß manchmal sogar die Theo- logen von den Juristen beneidet werden. Wer sollte ihnen auch noch das Wasser reichen können, nachdem jener große - beinahe wäre mir der Name entschlüpft; doch ich fürchte wieder das griechische Sprichwort von dem Esel und der Lyra - aus den Worten des Lukas einen Sinn erpreßt, der zum Geist Christi paßt wie Feuer zum Wasser.
7.3 Wirkung von Wiederholungen auf Kinder
U. Timm, Rennschwein Rudi Rüssel. München 1993. 2. Aufl. (6) "Wir fuhren in die Lüneburger Heide, und dann begann das, was wir Kinder überhaupt nicht mögen - es wurde gewandert. Fürchterlich. Wir latschten durch die Gegend, und Vater und Mutter sagten alle naslang: 'Guckt mal da, wie schön.' Sie blieben jedesmal stehen und zeigten auf irgendeinen Hügel oder Baum. Sie erwarteten, daß wir staunten. Aber was soll man schon zu einem Hügel sagen?"
7.4 Klischees zum Thema "Tod"
Schriftsteller Wolfgang Herrndorf (SPIEGEL 49/2013 147):
"Sätze, die Sie als Vollidiot zum Thema Tod unbedingt sagen müssen: 1. Der Tod ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Er wird von ihr an den Rand gedrängt. 2. Der Tod ist Bestandteil des Lebens. 3. Es weiß ja niemand, was danach kommt. 4. Ich habe keine Angst, ich weiß ja, was danach kommt."
7.5 Krimis: Festnahme des Verbrechers
Was einem sprachlich zu diesem Element eines Krimis geboten wird, hat - wohl in allen Sprachen - Formelcharakter. Wir nennen in Deutsch in 4 Sätzen die wichtigen Etappen. Aber jede/r möge in anderen Sprachen die Behauptung testen, dass dort die Äquivalente genauso Formeln sind:
Öffnen Sie, oder ich ... Im Namen des Gesetzes ... Achtung - ich schieße Hände hoch! ... Schneller! Leg dich hin!
Beides ist klischeehaft: die Sätzchen selber. Dann aber auch die Abfolge dieser Sätzchen im selben Kontext.
7.6 Nachsprechen von Formeln = gedankenloses Nachplappern?
Es gibt in der Geschichte genügend Beispiele, wo Menschen dann, wenn sie etwa in ein Amt eingesetzt werden sollten, es für unwürdig oder auch gedanklich nicht ausreichend fanden, lediglich die vorgesehene Formel nachzusprechen. Folglich änderten sie sie so ab, oder ergänzten sie, dass der Satz akzeptabel zu ihrer eigenen Geistesverfassung passte. Ein Akt bewundernswerter Ehrlichkeit, Lauterkeit also - sollte man meinen.
Aber Vorsicht: Vor allem in autoritären Denk-, Verwaltungs-, Staats-, Religionssystemen werden Abänderungen der Formel als Nein zum jeweiligen System interpretiert - gleichgültig wie subjektiv ehrlich der Satz nun klingen mag. Nicht die innere Verfassung des einzelnen Menschen interessiert, sondern die hörbare Übereinstimmung mit dem geforderten Wortlaut. Gleichgültig, welche Inhalte im Spiel sein mögen: das umgebende System interessiert lediglich, ob der Einzelne die verlangte Konformitätserklärung abgibt, sich einzuordnen bereit ist, oder eben nicht. Abgelesen wird die Bereitschaft zur Konformität an der exakten Verwendung der vorgeschriebenen Formel.
Schon vielen wurde damit der Zugang zu Ämtern, Funktionen verweigert, weil sie - methodisch betrachtet - sich nicht mit der dumpfen (Ausdrucks-)SYNTAX begnügen wollten, sondern auf die dazugehörige SEMANTIK ebenfalls achteten.
7.61 "Es ist vollbracht"
Aus dem "Streiflicht" der SZ 6.9.2016 - nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern):
"Die Fallhöhe vom Gesagten zum Gemeinten spielt in der Dramaturgie der Komik eine bedeutende Rolle, und wer dieses Handwerk beherrscht, kann auch bei der Arbeit mit Zitaten schöne Erfolge einfahren. So zum Beispiel ist es durchaus witzig, wenn ein kleiner Gauner, den die Poli- zei geschnappt hat, später erzählt, man habe seinerzeit Hand an ihn gelegt. Warum das witzig ist? Weil es an Markus 14,46 gemahnt, wo es über Jesu Gefangennahme am Ölberg heißt: 'Sie aber legten Hand an ihn und griffen ihn.' Noch überdrehter wäre es, wenn man einen jungen Mann mit folgender Credo-Stelle beschriebe: 'Gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater', damit aber andeuten wollte, dass der Bub der gleiche Trottel wie sein Vater sei. Dergleichen kann gut ankommen. Es kann aber auch auf seinen Urheber zurückfallen und ihm zu seiner Beschämung bewusst machen, dass man Gottes Worte ebenso wenig wie dessen Namen müßig im Munde führen sollte.
Was der AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm im Sinn hatte, als er nach dem Wahlsieg seiner Partei 'Es ist voll- bracht' sagte, wird sein Geheimnis bleiben. Er ist Atheist, könnte jedoch von seinen evangelischen Eltern mitbekommen haben, dass Jesus kurz vor seinem Tod am Kreuz ebenfalls 'Es ist vollbracht' sagte. Das war damals auf Golgatha freilich keine Wahlparty. Es war eine Stunde grimmigster Pein, und als Jesus diesen Satz ausrief, tat er das nicht für die Reporter von ARD und ZDF, sondern für die Menschheit und seinen Vater im Himmel, dessen Sendung er bis zum bitteren Ende erfüllt hatte. Zitate dieser Sorte sind von ihrem weiten, historisch bedeutsamen Hin- tergrund nicht mehr zu trennen und widersetzen sich von Natur aus der banalen Verwendung. Das heißt nicht, dass die Banalität nicht von Fall zu Fall auf sie zugriffe, etwa wenn ein Fußballklub seinen Aufstieg von der Kreis- in die Bezirksliga mit diesem Wort feiert oder wenn ein Friseurgeschäft nach langem Umbau inseriert: 'Es ist vollbracht! Salon Haarmonie in neuem Ambiente.' (...)"
7.7 Politik auf der Basis von Meinungsforschung
Mehrheiten sind das große Thema der Demokratie. Wer keine Mehrheit hinter sich versammeln kann, bekommt keine Gestaltungsmöglichkeit im politischen System. 'Mehrheit' heißt aber auch: Denk- und Sprechweise der Wählermehrheit. Eine solche zu erkunden ist Aufgabe der Meinungsforscher. Diese leben davon, dass auf eine Frage griffige Antworttypen zum Ankreuzen angeboten werden. Nur dann kann man an die statistische Auswertung gehen. Aufsatzlange Meinungsäußerungen würden die Meinungsforscher überfordern.
Erhalten Politiker dann die Auswertungen, so erhalten sie einige griffige Formeln, Sätze - verbunden mit Prozentangaben. Damit wissen Politiker, was im Volk mehrheitsfähig ist, was dagegen nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass solche Meinungsforschungsvorarbeiten dann auch in politischen Reden, im Regierungshandeln auftauchen - man will ja schließlich an der Macht bleiben. Vgl. [25]
7.8 "Tatort" - basierend auf Querverweisen
vgl. [26]
7.81 Nachplappern - bei US-Präsidentschaftsbewerbung
Was Michelle Obama 8 Jahre zuvor auf dem Parteitag der Demokraten gesagt hatte, wurde in Teilen von der Frau des Präsidentschaftsbewerbers Trump bei den Republikanern 2016 wiederholt. Ein in einem Cafe sitzender Journalist hatte ein gutes Gedächtnis gehabt: [27]
Um den Vorgang zu verstehen, braucht man keinen mathematischen Beweis - das Erinnerungsvermögen und der gesunde Menschenverstand reichen ... Dennoch ist nützlich, was ein US-Physiker veranstaltet hat - vgl. [28]: Er illustriert schön, dass es nur um Erscheinungen auf Ausdrucksebene geht, und das sind - auch für Mathematik - brauchbare Objekte, mit denen man auch rechnen kann. Ein Hereinnehmen von Bedeutungen würde den aktuellen Blick auf Sprache und damit auch die Berechenbarkeit zerstören.
7.82 Trump - "Unanständigkeitserklärung"
Vgl. [29] Auf Ausdrucksebene ist diese Wort-Neuschöpfung natürlich eine Anspielung auf den Gründungsakt von Staaten: ihre "Geburtsurkunde" ist die
"Unabhängigkeitserklärung"
Was im Fall von Staaten i.d.R. jährliche Festtage im Gefolge hat, dürfte bei der journalistischen Neubildung das Gegenteil auslösen: nachwirkende Peinlichkeiten, Erinnerung an politische Missgriffe.
Pragmatisch - letztlich - eine massiv negative Bewertung des Amtsantritts von T. Ausgelöst sind all diese Folgerungen durch die auffallend parallele Gestaltung der beiden Wörter auf Ausdrucksebene.